Während der Anforderungsanalyse Informationen zu sammeln ist nicht immer einfach. Vor allem in gänzlich neuen Themengebieten ist es schwierig, den Kunden und seine Arbeit zu verstehen. Um bei einem konkreten Problem weiterzuhelfen, ist dies jedoch meistens der erste Schritt.
Aller Anfang…
Auch empfiehlt es sich, Stakeholder (von dem Projekt betroffene) und andere Quellen für das nötige Wissen aufzulisten. Man muss sich klar darüber werden, wer für welche Bereiche zuständig ist, als Ansprechpartner bei Fragen dienen kann und unbedingt nach seinen persönlichen Anforderungen befragt werden muss. Auch Dokumente jeder Art sollten nicht vergessen werden. Handbücher, Berichte, Lehrbücher, wissenschaftliche Arbeiten – all diese Dinge können den Einstieg in ein Thema sehr erleichtern.
Textdokumente
Texte können viel über ein Aufgabengebiet verraten. Während das Lesen das persönliche Verständnis verbessern kann, gibt es auch analytischere Ansätze:
- Strukturanalyse
- Schon das Inhaltsverzeichnis kann wichtige Teilbereiche des Themas und ihre Zusammenhänge verdeutlichen.
- Inhaltsanalyse
- Aus dem Text lassen sich vor allem relevante Begriffe extrahieren. Diese können innerhalb späterer Entwicklungsphasen genutzt werden und so das Verständnis verbessern (z.B. Klassennamen, Relationen etc.). Die Erstellung eines Glossars bietet sich an dieser Stelle an.
Probleme
Textdokumente müssen auch kritisch betrachtet werden. Sie sind oft aus Sicht der Experten geschrieben und für den Laien oft unverständlich, da diesem nötiges Basiswissen fehlt. Schlimmer ist es, wenn man aus einem Text die falschen Konzeptualisierung schlussfolgert. Da Texte keine Rückfragen erlauben, können eventuelle Missverständnisse zunächst nicht ausgeräumt werden.
Konzeptualisierung
Ein wichtiger Begriff der Wissenserhebung ist die Konzeptualisierung. Sie beschreibt das Verständnis von bestimmten Dingen im Kontext eines bestimmten Problems. Es ist somit eine Form der Abstraktion, einem Beschränken auf das Wesentliche einer Sache. Eine genauere Erklärung findet sich auf der Seite der ARTM-Friends.
Experten als Wissensquelle
Eine sehr wichtige Wissensquelle sind die Experten des entsprechenden Gebiets. Sie sind die einzigen, die wirklich sichere Einblicke in ein Thema ermöglichen und wesentliche Anforderungen auflisten können.
Hierbei sollte man beachten, dass verschiedene Expertentypen unterschiedliche Standpunkte und Meinungen zu ein und dem selben Thema haben können. Es ist somit immer empfehlenswert, eine ausgeglichene Auswahl zu treffen und z.B. sowohl den Manager als auch den einfachen Angestellten zu befragen, auch wenn diese jeweils bereits über genug Wissen über ein bestimmtes Thema verfügen.
Einfache Wissenserhebungsmethoden
Ein einfacher und wirkungsvoller Einstieg in ein Thema ist die einfache Beobachtung. Beim sogenannten „Work-Shadowing“ verfolgt man einen Experten bei seiner normalen Arbeit. Man beobachtet, macht Notizen oder stellt Zwischenfragen, um ein detailliertes Bild des Arbeitsablaufs zu bekommen. Hierbei kann man vor allem implizites Wissen (Wissen um eine Sache oder Tätigkeit, die schwer oder gar nicht zu beschreiben ist) und Prozesswissen (man lernt, wie etwas gemacht wird).
Bei einem Interview kann man viel explizites Wissen erheben, also vor allem Wissen, welches der Experte bewusst und als relevant einschätzt. Neben dem Prozesswissen kann der Experte im Interview auch Konzeptwissen mitteilen. Man lernt also nicht nur wie, sondern ob und warum bestimmte Dinge gemacht werden.
Eine spezielle Form des Interviews ist das „Structured Hierarchical Interviewing for Requirement Analysis“ (SHIRA). Es ist eine einfache Herangehensweise, bei der man nicht viel Vorwissen benötigt. Man stellt hierbei drei Fragen zu interessanten Konzepten:
- Was ist das Konzept x?
- Welche Eigenschaft sollte x haben? (z.B. einfach bedienbar)
- Wie muss x sein, um diese Eigenschaft zu erfüllen?
Man erfährt so etwas über wichtige Konzepteigenschaften und wie diese zu erreichen sind.
Fragebögen sind eine gute Möglichkeit, schnell, günstig und unaufdringlich eine Vielzahl an Interviews zu simulieren.
Ausgeklügelte Wissenserhebungsmethoden
Diese Methoden nutzen bestimmte psychologisch geprägte Techniken, um vor allem auch implizites Wissen zu erhalten.
So werden beim Card-Sorting mehrere relevante Konzepte auf Karten geschrieben. Der Experte hat nun die Aufgabe, diese Karten auf diversen Stapeln zusammenzufassen und diese anzuordnen. Hierbei kann man viel implizites Konzeptwissen erheben, da die Ordnung oft nach Gefühl und weniger nach klar benennbaren Kategorien erfolgt.
Beim Triadic-Elicitation werden drei Konzeptkarten gewählt. Der Experte soll nun sagen, in welcher Eigenschaft sich zwei der Karten gleichen, die dritte aber unterscheidet. Auch hier wird viel Fantasie benötigt um die Aufgabe zu erfüllen. Dies offenbart daher oft Eigenschaften, die vom Experten sonst als nicht-relevant betrachtet wurden oder ihm gar nicht bewusst waren.
Das Repertory-Grid verdeutlicht Konzepte, Attribute und die Beziehungen untereinander. Hierbei wird eine Liste von Konzepten jeweils mit einer Liste von Attributen bewertet:
Hund | Katze | Maus | |
---|---|---|---|
Schnelligkeit | 3 | 2 | 1 |
Intelligenz | 5 | 4 | 2 |
Größe | 3 | 4 | 6 |
Anschließend sollen die Bewertungen vom Experten analysiert werden: Gibt es vielleicht einen Grund, warum die Konzepte x, y, z in den Attributen a und b so schlecht abschneiden?
Fazit
Es gibt viele Möglichkeiten an Wissen zu kommen. In aller Regel wird man sich mit Interviews begnügen. Ist jedoch ein tiefgreifenderes Verständnis für ein langfristiges Projekt notwendig, ist es hilfreich um die vielen kleinen Tricks zu wissen, die auch verborgene Erkenntnisse an die Oberfläche bringen.
Quellen
Dieser Artikel basiert auf meinen Erkenntnissen und Mitschriften aus Vorlesungen an der Universität Rostock. Maßgeblich für dieses Thema ist die Vorlesung „Requirements Engineering“ des Lehrstuhls für Softwareentwicklung.