Vom Aussterben bedroht? Das deutsche Anführungszeichen

Ich lese den ganzen Tag. Nachrichten, Blog-Artikel, Kommentare, Dokumentationen, Tutorials, Foren, Romane. Vieles davon ist deutsch, fast alles digital. Ob Rechtschreibschwäche und -ignoranz mit dem Web schlimmer oder lediglich sichtbarer wurden, will ich nicht beurteilen. Unter dem Deckmantel technischer Beschränkungen gibt es aber ein viel größeres Opfer als die deutsche Rechtschreibung: Unsere Anführungszeichen.

„Lorem ipsum“


Wiedererkannt? Wörtliche Rede, Zitate, Titel, Ironie – all das sollte von diesen Zeichen umschlossen werden. Mit dem Web haben wir sie fast verloren: Selbst unsere größten Nachrichtenseiten greifen zum plump-unschönen Ersatz Schreibmaschinen-Ersatzzeichen. Von Blogs, sozialen Netzwerken und anderen „leichten“ Seiten möchte ich gar nicht erst reden.

"Lorem ipsum"

Diese Notlösung, die aufgrund der Beschränkungen von Schreibmaschinen und frühen Computern notwendig war, werden wir nun nicht mehr los. Dabei sind technische Gründe längst verschwunden: Nahezu jede Schriftart, jedes Betriebssystem und jeder Browser unterstützen Satzzeichen jeder Art.

Deutsche und französische Anführungszeichen unter Linux

Nutzt man ein Linux mit X, so ist die Eingabe mit deutschem Tastaturlayout nicht einmal kompliziert:

  • Alt-Gr + v: Anführungszeichen unten („)
  • Alt-Gr + b: Anführungszeichen oben (“)

Und auch die ebenfalls bei uns gebräuchlichen französischen Varianten sind nicht weit:

  • Alt-Gr + y: Öffnendes Guillemet (»)
  • Alt-Gr + x: Öffnendes Guillemet («)

Kein Platz für „?

Die französischen Guillemets, wie diese Anführungszeichen genannt werden, sind der Standard im deutschen Buchdruck und fördern das Verschwinden des unteren Anführungszeichens noch mehr. Dabei haben wir unseren Nachbarn die Zeichen nicht einmal richtig gestohlen, verwenden die sie doch vertauscht und mit Leerzeichen.

»der Hahn«   « le coq »

Dennoch fällt auf, dass unsere Anführungszeichen schlimme Zeiten durchmachen mussten und auch die Zukunft nicht gerade rosig aussieht. Digital nur die oberen Anführungszeichen und in Büchern Guillemets – viel Platz bleibt da nicht. Ein handgeschriebener Brief ist etwas schönes, jedoch auch ebenso selten. Das Schicksal des unteren Anführungszeichens scheint eng mit dem der Printmedien verbunden zu sein. Und Frankfurter Rundschau und die Financial Times Deutschland sind schon weg…

11 Kommentare

  1. Interessant, hab ich mir so noch nie den Kopf drüber zerbrochen. Die gängigen Office-Programme ersetzen das ja zum Glück automatisch und in LaTeX ist das auch kein Problem.

    Unter Windows gibt’s wohl leider keine allgemeine Tastenkombination, nur Alt + 0132 und Alt + 0147. Der „typografisch korrekte Apostroph“ ist Alt + 0146.

    Wie kommst du eigentlich immer auf diese Themen um die deutsche Sprache?

  2. Wie ich darauf komme? Gute Frage, schwer zu sagen. Mich interessiert unsere Sprache eben, ich achte sehr darauf und ich nehme Trends somit recht bewusst wahr. Und wenn ein Grundinteresse da ist beschäftigt man sich ja auch damit, was sich dann wieder verstärkt. Habe zum Beispiel sehr viel vom „Zwiebelfisch“ Bastian Sick gelesen, der schreibt immer sehr lustige Anekdoten zum Thema. Da wird man dann auch auf eigene Fehler aufmerksam.

  3. Also ich sehe das nicht so dramatisch. Ich finde, es ist egal, welche Anführungszeichen man verwendet, solange sie als solche zu erkennen sind.

    Eigentlich sind die Guillemets (»ohne Leerzeichen und nach innen gerichtet«) die bessere Wahl, da man nicht durch ein vorheriges Komma irritiert wird, das mit einem einfachen öffnenden Anführungszeichen verwechselt werden könnte. Es gibt andere Probleme in unserer Sprache, die man dringend verändern muss, finde ich. 😉

  4. Wie gesagt, ich sehe momentan kaum einen anderen Bereich unserer Sprache, der so akut vom Aussterben bedroht ist. Wie wichtig so etwas ist, ist sicher immer relativ. Gibt auch genug Menschen, die sagen, dass man ohne Rechtschreibung leben kann. Die haben ja vermutlich auch recht. Dennoch empfinde ich Sprache als Kulturgut, das man sich bewahren sollte.

  5. Na ja, Rechtschreibung ansich ist schon wichtig, damit es eindeutig ist und zu keinen Missverständnissen führt. Anführungszeichen missverständlich zu verwenden, ist echt sehr schwer. Dass man andere Zeichen wie Apostroph oder Komma mit den einfachen Anführungszeichen passiert schon eher.

    Natürlich ist Sprache ein Teil der Kultur – Anführungszeichen stellen in meinen Augen allerdings keine hohe Bedeutung dar. In Sprache geht es auch um Funktionalität. Wenn man die Sprache bewusst oder unbewusst verändert, heißt es nicht, dass man die Kultur nicht bewahrt, sondern sie verändert.

  6. Das ist nur Deine Meinung. Kultur ist schön, allerdings muss man es in einigen Bereichen nicht übertreiben. Kultur und Funktionalität schließen sich nicht automatisch aus.

  7. Du diskutierst wohl auch sehr gerne. Ich finde es wichtig, da kannst du dich auf den Kopf stellen 😉

    Und dass nur ich diese Meinung habe ist relativ unwahrscheinlich…

  8. Ja, das tu ich. 😀
    Der Satz „das ist nur Deine Meinung“ war eigentlich eher spaßig gemeint. Das kann man aber nur wissen, wenn man den Film „Der Doppelgänger“ gesehen hat. 😀

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